Insomnium „Winter’s Gate“ / VÖ 23.09.2016



Wollte man es böswillig formulieren, dann würde man sagen, dass sich Insomnium mit ihrer neuen Scheibe „Winter’s Gate“ einen Scheißdreck um zeitgeistige Hörgewohnheiten scheren. In Zeiten von Spotify, iTunes und Einzelsongdownloads ist es für nicht wenige Musikfreunde zum Standard geworden, sich durch kunterbunte Playlisten zu hören und einzelne Bands dabei mitunter mit nur einem Song zu berücksichtigen. Dies kann man natürlich auch mit „Winter’s Gate“ machen, doch wer genau das tut, dem schlagen die Finnen ein Schnippchen: Denn der Titeltrack ist in diesem Fall direkt mal das komplette Album.

Richtig, die Melodic Death Metaller haben sich dazu entschlossen, anstatt der üblichen Vorgehensweise diesmal nur ein einziges großes Epos zu schreiben, ein Biest mit nicht weniger als 40 Minuten Spielzeit. Somit hat mancher auf Singles geeichte Fan gar keine andere Möglichkeit, als sich dieses Album in voller Länge anzuhören. Und das ist auch gut so, denn Niilo Sevänen und seine drei Kollegen haben einmal mehr Meisterliches abgeliefert, das es verdient hat, vollumfänglich wahrgenommen zu werden. Nur wenige andere Bands verstehen es so gekonnt, galoppierenden Melodic Death mit der typisch finnischen Melancholie zu kombinieren und das Ganze auch noch mit wunderschönen Melodien auszuschmücken. Insomnium transzendieren auf „Winter’s Gate“ gewohnt traumwandlerisch zwischen eruptierender Metal-Raserei und verträumten Zwischenspielen, oft wird gefaucht, geschrien und gegruntet, bisweilen aber auch beinahe zerbrechlich gewispert. So wirkt dieses Album nie so, als wollte es einen erschlagen oder überfordern, vielmehr hat man das Gefühl, es mit etwas beinahe Organischem, Lebendigem zu tun zu haben. Womöglich ist genau das die Kunst und größte Stärke eines solchen Projektes: Einen Song auf 40 Minuten zu strecken ist grundsätzlich kein Hexenwerk, doch wenn man den Hörer dabei erst einmal langweilt, ist der Ofen ganz schnell aus. Diese Blöße gibt sich das Quartett glücklicherweise nicht mal in Ansätzen, allerdings hätte damit auch kaum jemand gerechnet, der in den letzten zehn Jahren irgendwann einmal eine Scheibe der Skandinavier in den Fingern hatte oder die Burschen live gesehen hat. „Winter’s Gate“ ist ein Album geworden, das die Bezeichnung Epos wahrlich verdient hat und mit einigen erhabenen Höhepunkten ausgestattet ist. Übrigens handelt es sich wie bei „Crimson“ (Edge of Sanity) und „Plague of Butterflies“ (Swallow the Sun) um ein Ein-Song-Konzeptalbum. Wer möchte, kann sich diesen Langspieler in einer limitierten Edition in den Schrank stellen, die auch ein Hörbuch enthält, in der Frontmann Niilo Sevänen seine Kurzgeschichte, auf der dieses Album basiert, höchstselbst vorliest. Wem das zu weit geht, der soll sich einfach zurücklehnen und diesen ausladenden Ritt durch Melodic Death, Doom, Progressive und Epic Metal einfach genießen. In Sachen Komposition, Dramatik und Spannungsbogen gibt es für „Winter’s Gate“ nur ein Prädikat: Extraklasse.

Markus Rutten - www.sounds2move.de