Interview mit Lasterbalk von SALTATIO MORTIS

 

 

Bei einigen Songs auf "Zirkus Zeitgeist" zeichnet ihr ein ziemlich desaströses Bild von der Gesellschaft im Allgemeinen und uns Deutschen im Speziellen. Sind wir wirklich so schlimm, und was wären eurer Meinung nach ein paar gute Ansätze, um den Status Quo zum Positiven zu verändern?

 

Ja, ich glaube es ist in der Tat sogar noch schlimmer. Brennende Heime für Asylsuchende, Zehntausende dummdreiste Mitläufer auf rechtspopulistischen Veranstaltungen à la Pegida, Angriffe auf Politiker und Flüchtlinge, gesteuerte Propaganda à la Göbbels. Syrien mit einer guten Chance darauf, das neue Vietnam zu werden, um dabei seinen sowieso schon geschundenen Rücken für einen Stellvertreterkrieg hinzuhalten. Eine Schere von Arm und Reich, die schon soweit offen ist, dass alle nur noch resignieren. Lobbyisten, die ganz offensichtlich die Politik vor sich hertreiben... Wo soll ich anfangen – wo aufhören?

 

Ansätze? Mehr hinschauen! Mehr denken! Mehr selbst informieren und hinterfragen und eben nicht nur nachplappern! Mehr Engagement, auf der Straße und auf dem Wahlzettel! Raus aus der bequemen Opferhaltung und weg mit dem „Ich kann doch eh nichts verändern“-Fatalismus!

 

"Unbequem" bezeichnet das neue Album meiner Meinung nach ziemlich gut, "kontrovers" würde mir persönlich schon wieder etwas zu weit gehen. Jedenfalls greift ihr mit "Nachts weinen die Soldaten" noch mal die Thematik von "Krieg kennt keine Sieger" auf, ihr teilt aber auch noch in ein paar andere Richtungen aus, etwa mit dem kirchenkritischen "Maria" oder in Richtung der allseits unbeliebten Börsenspekulanten und anderer Geldverbrenner. Muss man sich auch als Künstler heutzutage einfach klar positionieren und auch mal auf ein paar Füße treten, um im Zeitalter des Informations-Overkill und der kaum zu bändigenden Fluten von Neuerscheinungen noch Gehör zu finden?

 

Keine Ahnung. Tatsächlich ist es mir ziemlich Wurst, was „ein Künstler“ heute tun muss! Wir tun das was wir tun wollen! Ich weiß, dass es immer wieder Hater gibt, die uns das schlicht nicht glauben, es ist aber genau so wie ich es sage. Das Album ist genauso wie es ist, weil wir das so haben wollten und weil wir Lust darauf hatten.

Übrigens finde ich schon, dass der "Zirkus Zeitgeist" kontrovers ist. Wir bekommen massiv Zuspruch, aber auch ordentlich Gegenwind – immerhin.

 

Schon auf "Das schwarze Einmaleins" habt ihr unverhohlen und sehr direkt Kritik geübt, ich denke da vor allem an "Wachstum über alles" und "Früher war alles besser". Natürlich ist es bei euch nicht neu, dass ihr zum Weltgeschehen Stellung bezieht und anprangert was euch gegen den Strich geht. Aber trotzdem sind besagte Songs direkter und auch ein bisschen giftiger ausgefallen als in der Vergangenheit. Würdest du sagen, dass ihr dadurch ein Stück weit auf den Geschmack gekommen seid und jetzt mit "Zirkus Zeitgeist" deshalb einen ähnlichen Weg geht?

 

Jein. Letztlich ist alles immer eine permanente Entwicklung. Natürlich probiert man auf einer Platte mal was aus und führt das dann auch bei der nächsten weiter, oder man lässt es auch wieder. Nach jeder Platte, nach jeder Tour, hat man auch immer was dazugelernt. Nach jedem Jahr auf dieser Welt hat man sich wieder verändert.

 

Ist es für eine Band wie euch vielleicht die größte Leistung, dass ihr die Leute nicht nur zum Singen, Springen und Schunkeln bringt, sondern auch mal zum Nachdenken? Quasi wie ein spielerisch verpackter Bildungsauftrag, ohne dabei die Moral-Keule zu schwingen?

 

Ich glaube beides ist wichtig. Und ganz neben bei: Ich habe keine Lust hier den Besserwisser zu geben. Letztlich sage ich: „Aus meiner Sicht läuft hier was falsch. Schaut hin!“ Weder habe ich auf alles eine Lösung, noch behaupte ich, ein besserer Mensch zu sein!
 

 

Bei "Wir sind Papst" nehmt ihr euch gar des Deutschen liebsten Zeitvertreib zur Brust - König Fußball. Habt ihr dieses Thema bewusst aufgegriffen, weil ihr eine grundsätzliche Gefahr von der schwarz-rot-goldenen Sommermärchenduselei ausgehen seht wie manche (selbst ernannten) Experten, die darin eine Keimzelle für rechtes Gedankengut erkannt haben wollen? Oder bot sich das Thema für euch einfach an, weil man die Leute damit so schön in Wallung bringen kann, da sich jeder Nationalmannschafts-Modefan gleich auf den Schlips getreten fühlt?

 

Weder noch. Letztlich ist seit dem gekauften Sommermärchen ein gewisser „Das wird man doch noch sagen dürfen“ Patriotismus wieder salonfähig geworden. Mir ist Nationalismus aber generell suspekt. Ich erkenne in national tümelnden Gedanken sehr wohl auch immer eine Keimzelle für Fremdenhass ("Es gibt uns und die anderen!"), Rassismus ("wir sind gut, die anderen nicht"), Gewalt ("die anderen wollen uns an unsere Wäsche, also 'verteidigen' wir uns besser"). Na ja, gerade für uns Deutschen ist und bleibt das ein Reizthema und somit war klar, dass ich meine Gedanken dazu in Liedform bringen will.

 

Habt ihr generell einen Bezug zum Thema Fußball oder ist das etwas, das im Grunde komplett an euch vorbei geht? Weil gerade dieser Weltsport Nr. 1 ja auch durchaus einen positiven Effekt auf die Gesellschaft haben kann, da er sehr integrativ ist, was gerade bei den aktuell von den Medien so heiß geliebten Debatten über Zuwanderung und Flüchtlinge ein Aspekt ist. Vereinfacht formuliert: Wirf den missmutigen Deutschen und den afrikanischen Kriegsflüchtlingen einen Ball hin und du wirst sehen wie schnell die Freunde werden - davon können Politiker, so sie denn überhaupt sinnvoll Stellung beziehen, nur träumen, haha. Mit der Musik ist es meist ganz ähnlich.

 

Das stimmt, Sport verbindet, Musik natürlich auch, hehe. Mit Fußball haben wir jetzt nicht soviel am Hut, also keiner von uns spielt selbst aktiv, aber der ein oder andere verfolgt schon mal ein Spiel.

 

Übrigens passen viele eurer Texte auch durchaus zur Geisteshaltung der aktiven Fanszenen im deutschen Fußball, die sich auch nach Kräften beispielsweise gegen Kommerzialisierung, Repressionen, Überwachung, mediale Hetze und Scheinheiligkeit wie jüngst bei einer "Hilfsaktion" der Bild, und für Meinungsfreiheit, Vielfalt und Mitspracherecht einsetzen und dabei bisweilen überaus kreativ zu Werke gehen. Anders ausgedrückt: Texte wie "Wachstum über alles", "In unseren Worten" aber auch "Vermessung des Glücks" ließen sich problemlos aus der Sicht eines mündigen Fans interpretieren und erzählen. Vielleicht spielen Saltatio Mortis noch mal irgendwann in einem ausverkauften Fußballstadion - Potential ist jedenfalls vorhanden, hehe.

 

Das glaube ich gerne!

 

Trotz einiger Ecken und Kanten habt ihr "Zirkus Zeitgeist" davor bewahrt, als Ganzes in irgendeiner Form bitter oder gar resigniert zu klingen. Ich würde mal die These aufstellen, dass euch da euer grundsätzlich fröhliches Gemüt durchaus zuträglich war, außerdem würdet ihr sonst selbst in das von euch angeprangerte Profil des Deutschen passen, der keinen Spaß haben und nicht unbeschwert sein kann, hehe. Wie wichtig war es euch bei diesem Album trotz vieler ernster, bisweilen bedrückender Themen den Spaß nicht zu kurz kommen zu lassen?

 

Freut mich sehr, danke schön. Tatsächlich finde ich auch, dass trotz vieler schwerer und heftiger Themen der Spaß nicht zu kurz kommt. Letztlich schreiben wir aber nie nach Plan, also nach dem Motto "jetzt müssen noch sechs Spaßlieder auf die CD, also alle mal fröhlich sein". Wenn wir aus den Liedern, die wir geschrieben haben auswählen und zusammenstellen, dann haben wir natürlich schon die ganze Platte im Sinn und auch was passt und was nicht – aber schreiben, nur um noch einen fröhlichen Song zu haben, das wäre nicht aufrichtig.

 

Zumal es durchaus einen Anlass gibt für gute Laune und gehobene Gläser, ihr feiert nämlich 15. Geburtstag! Herzlichen Glückwunsch! Zu diesem Anlass habt ihr euch sozusagen selbst ein Ständchen gebracht, indem ihr bei "Geradeaus" textlich einfach mal schamlos bei euch selbst klaut. Hattet ihr eigentlich das Gefühl, dass sich der Text irgendwann von selbst schreibt? Man hat nämlich als Zuhörer den Eindruck, dass er dir ziemlich leicht von der Hand ging, zumal ihr auch mehr als genug Material in petto hattet.
 

Ja, als die Idee mal da war, da schrieb es sich von alleine, haha. Ich hatte wirklich viel Spaß beim Texten!


Für eben dieses Jubiläum habt ihr eure Songs auch diversen Freunden und Bekannten überlassen, die eure Stücke auf ihre Art und Weise interpretiert haben. Nach deiner Lieblingsversion frage ich jetzt gar nicht erst, denn natürlich sind alle Versionen überragend, sonst wären sie nicht auf die Bonus CD gekommen, hehe. Aber gab es auch Anfragen, die abgelehnt wurde oder die aus sonstigen Gründen nicht zu Stande gekommen sind? Und wenn wir den Faden noch mal zum 20. in ein paar Jahren weiterspinnen: Wenn du freie Auswahl hättest für einen Saltatio Mortis-Coversong - wen würdest du auswählen?

 

15 Künstler zu koordinieren, während man selbst noch im Studio ist, das ist schon Flöhe hüten für Fortgeschrittene, haha. Aber an dieser Stelle noch mal ein dickes „Danke schön“ an alle Beteiligten – es war eine Freude und Ehre mit euch zu arbeiten. Und fürs 20. – hm – Queen mit Freddie? Man wird ja nochmal träumen dürfen.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de 

 

 

Link: www.saltatio-mortis.com